Faszination Knut Hamsun.
Eigentlich sollte ich hier wohl
tiefschürfende literarische Analysen zu den Werken
Hamsuns schreiben, aber das wage ich nicht. Das haben
schon andere vor mir getan, und noch dazu in so
überzeugender Weise... Suchen Sie sich dazu lieber etwas
aus meinen Links heraus.
Statt dessen möchte ich vom
anderen Ende her anfangen, nämlich bei der FRAGE,
die ich öfters höre: "Warum bist Du eigentlich so
fasziniert von diesem Hamsun?"
Es begann ganz anders - nicht
mit seinen Romanen. Obwohl ich mein ganzes Leben lang
eine eifrige Leseratte gewesen bin, kannte ich Hamsun
erst nur als denjenigen Schriftsteller, der den Roman zu
dem Film "Hunger" geschrieben hat.
Im Jahre 1992, als wir im Urlaub
in unserem Lieblingsurlaubsland Norwegen waren, stieß
ich in der Zeitung auf einen Artikel, der mich neugierig
machte: "Nazismus und Hamsun" hieß er. Da mich
Geschichte und Politik schon immer interessiert hat, fing
ich an, norwegische Freunde über Hamsun auszufragen. Was
hatte er noch gemacht, außer gute Bücher zu schreiben?!
Keiner erinnerte sich, daß er
etwas Besonderes gemacht hatte. Aber er war ja während
des Krieges auf der Seite der Deutschen.
Ja, aber das waren viele andere
auch. Und seit damals sind schon Jahrzehnte vergangen...
Ich wurde richtig neugierig.
Kurze Zeit später fand ich
zufälligerweise in einem Antiquariat die Bücher
Thorkild Hansens: "Der Hamsun Prozess".
Da war ich geliefert. Erst
wurden diese Bücher verschlungen, danach Hamsuns Roman
"Auf überwachsenen Pfaden", den er schrieb,
während er auf seinen Urteilsspruch wartete. Hamsuns Art
und Weise des Sprachgebrauchs nahm mich gefangen und so
wollte ich bald auch mehr über seine Person wissen.
Ich wollte all seine Bücher
lesen, alle Bücher über ihn und seine Familie
finden. Ich begann eine wahre Jagd auf Bücher in den
Antiquariaten.
Das wurde ein größeres
Projekt, als ich geahnt hatte. Ich wußte ja nicht, daß so
viele Bücher über Hamsun geschrieben worden waren.
Völlig unmöglich, nur einen Bruchteil davon zu sammeln,
aber ich versuche es trotzdem.

Seit Jahren schon habe ich nun
stets ein Buch von oder über Knut Hamsun in meinem
Gepäck. Ich liebe es, davon zu erzählen oder ganze
Passagen vorzutragen. Gert ist ein geduldiges Publikum.
Seitdem auch er die Bücher Hamsuns liest, gibt es gute
Diskussionen, wenn er andere Nuancen bemerkt als ich.
Es erstaunt mich sehr, daß so
viele -und vor allem so unterschiedliche- Bücher über
diesen Mann geschrieben worden sind. Eines fand ich
schnell heraus: Es ist unmöglich, ihm eine bestimmte
Position oder Gesinnung zu zuzuschreiben. Es gibt so
viele Schichten in seiner Dichtung und in seinem Leben,
vielleicht ist das der Grund, weshalb er uns alle immer
noch fasziniert.
In der große Briefsammlung Hamsuns, ist immer etwas
interessantes zu Lesen.
"Als Pan fertig war - Hamsun schreib ihn in Paris
und beendete ihn in Kristiansand-, spannte er wie
gewöhnlich eine Woche aus und hatte Zeit, mit seiner
klugen und verständnisvollen Freundin Kalle Neeraas zu
plaudern.
Kristiansand 4 November 1894
Liebe Kalle
Entschuldige, daß ich nichts von mir hören ließ, ich
habe mich bis vor einer Woche mit dem Buch abgemüht; und
dann fing das Bummeln und Herumschwärmen an, daß es ein
Graus war. jetzt soll Schluss damit sein - wenigsten für
diesmal. Ich stehe vor einer Reise nach Bergen, ich habe
so bindend versprochen, dorthin zukommen, daß ich es
nicht umgehen kann. Mein Verleger in Paris telegrafiert
auch, daß ich in zwei Wochen bei im sein soll, ich
bleibe also nur einige Tage in Bergen. Nun steht mir
wieder eine Zeit voll Elend und Seekrankheit bevor. Nach
Kristianssund kann ich diesmal nicht kommen. Aber
vielleicht nächstes Jahr. Mir geht ein neues Buch im
Kopf herum, damit muß ich beginnen und daran arbeiten,
wenn ich wieder nach Paris komme. Also hängt es davon
ab, wann ich damit fertig werde. Nie etwas anderes als
Schuften.
Wenn ich nicht zu alt dazu wäre und die Mittel hätte,
ginge ich in die Schmiedelehre, was ich mir schon lange
in den Kopf gesetzt habe. Dann könnten sich Literatur,
Nervosität, Politik und alles andere zum Teufel scheren.
Aber das ist natürlich Unsinn. Hu, jetzt ist Herbst auf
dem Erdreich, Die Bäume haben keinen Blättern mehr, und
selbst die Menschen gehen ein in den ewige Schlaf. Bevor
der Sommer nicht da ist, wird es mir nicht gut gehen; ach
ich sollte nicht im Schnee leben, ich gehöre in
südliche Gegenden. Voriges Jahr sah ich den ganzen
Winter nicht eine Schneeflocke, und die Bäume auf den
Boulevards belaubten sich zweimal. Und dennoch mache ich
mir nichts aus Paris. Ich sollte in einer warmen Gegend
auf dem Lande leben, ein Frau, ein Kind, einen
Kartoffelgarten und eine Kuh haben. Du wirst das
verstehen wenn du meinen letztes Buch gelesen hast, das
von den Naturmächten handelt und von Mystik und Stimmung
widerhallt.........
Es wäre lustig, mit Dir zu reden; denn das ist doch noch
etwas anderes als schreiben. Uff, ich bin so lange von
allen fort gewesen, scheint mir; und trotzdem sehe ich
Dich in der Ferne. So ist das wohl, Dir geht es
wahrscheinlich ebenso. Sobald ich die Mittel dazu habe,
will ich mir ein Haus in einen Wald kaufen und meine
alten Freunde einladen, Dich und Lulli und noch einige.
Aber dann wollenwir nicht über Literatur sprechen. Ich
möchte wissen, ob wir auch Met. trinken werden? - Ja, ja
so lange mußt Du noch warten, liebe Kalle. Dein Knut.
H."
Ich finde die Briefsammlung einfacht schön."
In einen Dalmatinisches Tagebuch von Richard Gerlach
kann man Lesen:
Dubrovnik (Ragusa) 29 Mai 1938
"........Der wagen hatte den halben Weg durch die
Felsenstraße zurückgelegt, da sagte Dorothea: Wissen
Sie, wer in unsere Hotel wohnt? - Knut Hamsun." Wir
wollten es nicht glauben.
Es war ein mittleres Hotel, etwas versteckt. Die
Dachzimmerchen glichen Starenkästen. Aber für eine
Nacht oder zwei würde es schon gehen.
Etwas später waren wir im Speisesaal beim Abendessen,
und als wir kaum saßen, stand wirklich Knut Hamsun unter
der Tür, groß, aufrecht, mit keinem anderen Menschen zu
verwechseln. Er warf einen zurückhaltend prüfenden
Blick über die Speisenden, ging zu dem Tisch, wo für
ihn allein gedeckt war, und grüßte lächelnd zu
Dorothea herüber.
Nach dem Essen traten wir in den Lesesaal. Zwei Herren
bemühten sich, in englischer Sprache Fragen an den
Dichter zu stellen. Ihre Neugier schien ihn nicht zu
behagen. Er sagte, er sei inkognito hier, und als sie
auch dann noch bleiben, sprach er mit tiefer Stimme:
" I am hundred years old." Die bemerkung, er
sei hundert Jahre alt, veranlaßte die beiden, sich zu
verabschieden, Auch wir gingen.
Am nächste Morgen sahen wir ihn beim Frühstück auf der
terasse. Er hatte nichts von einem Greise. Er war noch
ganz gesammelte Kraft. Unter dem grünen Laubdach der
Pergola rauchte er die kurze Pfeife und sah im Genuß der
frühen Stunde zu den gurrenden Tauben vor ihrem Schlag
hinüber. Dann nahm er die Handshue und den Stock zum
Ausgehen......."
30.Mai 38.
"........Am Abend trafen wir die Bekannten wieder im
Stadtcafe, als plötzlich an der hinteren Wand Knut
Hamsun erschien. Groß hob er sich dagegen ab. Er sah
eine Weile über die Menge hinweg. Er schien nimand zu
kennen. Wir ermutigen Dorothea, zu ihm zu gehen und im zu
fragen, ob er nicht an unseren Tisch kommen wolle. Sie
tat es.
Er hatte es zuerst abgelehnt. Aber langsam kam er im Gang
vor, stand an einem Pfeiler und blickte zu uns herüber.
Dann winkte er dem Kellner. Etwas später wurde Sekt auf
unsere Tisch gestellt. Wir wollten schon einwenden, wir
hätten ihn nicht bestellt. Aber Knut Hamsun lächelte
uns zu.
Dorotheas Bruder ging zu ihm, und langsam kam dann der
Dichter. Er hattr nur gebeten, auf Vorstellung und
Förmlichkeit zu verzichten.
Wiederspruchsvoll und keineswegs leicht auf eine Formel
zu bringen ist das Leben Augusts, des Weltumseglers, der
ein verfluchter Kerl in mancher Bezihung nach Jahr und
Tag bleibt. Der Ruhelose, der vom Vahn gehetzte Mensch,
der kein Gesetz anerkennt als das in der eigenen Brust,
der Ausbrecher aus den gewohnten Normen, der auf seinen
Stern traut und mit allen Winden segelt, das war uns
August geworden, das Gleichnis der Unrast, die unsere
Zeit schüttelt, und hier, uns gegenüber, saß nun sein
Dichter. Hatte er uns nicht den Segen der Erde, die
Seligkeit der Jugend gelehrt? War die Melodie seiner
Sprache nicht so mächtig, daß wir uns dagegen wehren
mußten, ihr zu sehr zu verfallen? Das leben, das
wunderbare, bezaubernde, unberechenbare, holde und
grausame Leben, hat keiner durchschaut und gepriesen wie
er.
Knut Hamsun fragte Dorothea nach ihrer ostdeutschen
Heimat. Wo jenes Städtschen lag, ließ sich mit Worten,
nur schwer beschreiben. Es war am einfachsten, es mit ein
paar Strichen anzudeuten. Die Kartenskizze war rasch
entworfen. Aber der Dichter wollte noch etwas fragen, er
bat um den Bleistift. Dieser war bereits wieder an seinen
Ort in der Handtasche. Nun wurde er aus dem Behältnis
genommen. Knut Hamsun ließ sich das Futteral aus rotem
Leder geben und hielt es einen Augenblick anerkennend vor
sich hin. Es war ein hübscher Scherz mit einem
Reißverschluß, den die behutsame Hand vorsichtig
zurückzog. Gehalten durch eine nette kleine Schlaufe,
stak da ein Patentstift, rosenrot, oben zum Drehen. Knut
Hamsun löste ihn betrachtend. Er lächelte dem
Schreibwerkzeug zu. Was für gedanken ließen sich mit
einem solche Stift auf das Papier setzen? Mußte es nicht
leicht sein, mit ihm von Glück zu berichten? Konnte er
nicht Worte hinsprudeln lassen, flink gestandene? Oder
dachte der Dichter, daß er nie dergleichen besessen
habe? Hatte ihm vielicht ein Stummel von einem Bleistift
genügt, das Rätselhafte aus geheimnisvollen Tiefen zu
holen? Er wußte jetzt alles, was der rote Stift erfinden
könnte, Briefe der Liebe oder der Traurigkeit, er wiegte
bewundernd das Haupt. Dann zog er eine Linie nach, die er
erklärt haben wollte.
Genau erkundigte er sich danach, wie Dorothea
aufgewachsen war, die Einzelheiten waren ihn wichtig.
Manchmal verstand er die deutschen Ausdrücke nicht; dann
suchten wir nach norwegische oder Englischen Wörtern.
Dorothea war voller Jugend und ganz naturlich,
unverbildet und in einem überschaubaren Umkreis zu
Hause. Wir dachten an die Gestalten der Hamsunschen
Dichtung, an Victoria oder Rosa, und in diesem Augenblick
rückte das Mädchen aus dem klanglosen Städtchen auch
für uns in ein neues Licht.
Er schenkte uns den Abend, freigebig, ein Grandseigneur.
Er sah der Jugend beim Tanze zu und fragte, wie die
Tänze hießen. Als wir allein am Tisch zurückgeblieben
waren, hob er sein Glas und sagte zu mir: "Wir
trinken."
"Zu meiner Zeit, vor fünzig Jahren", sagte er.
Wir hätten ihm antworten mögen, daß seine Zeit heute
genau so wäre wie damals. Sein Blick ließ keine
Täusung und keine Beschönigung zu. "Das ist
nichts", sagte er, und dann war eine Sache beiseite
geschoben. Der Dichter der Unsagbarkeiten konnte vieles
mit einem Wort abtun. Er sagte "Idiot", und die
Torheit eines Urteils wurde klar. Ein Idiot war einer,
der etwas tat, was im nicht gut zu tun oder zu denken
war, und solche waren nicht rar. Es lag keine Verachtung
in dieser Bezeichung, nur ein Zweifel, nicht die
verdammung. War Dichtung nicht oft das gleiche, wie das
Schicksal zu befragen? Wir wußten, daß der Dichter nut
tat, was sein mußte. Über seinem Werk waltete die
Notwendigkeit. Auch die Torheit hatte ihren Platz in der
Welt, und auf keine Empfindung konnte verzichtet werden.
Der Dichter steht mitten im Leben, wohl darüber, aber
nicht abseits, und keine Schwelle hemmt sein Eindringen.
Der Duft der Jugend wird ihm nicht welk.
Als wir in der Nacht mit der Dichter durch die Gassen
Ragusas schritten, sangen wir leise vor uns hin.
Da ich in Deutschland lebe, ist
es selbstverständlich für mich, hier nach Aufsätzen
und Büchern zu suchen. Schon 1907 hat ein Kurt Rotermund
über Hamsun geschrieben. Dieses Buch habe ich selbst
noch nicht gefunden, dafür aber das darauffolgende: aus
dem Jahre 1910 von Carl Morburger.
Nørholm
In unserem nächste
Norwegenurlaub, sah ich mir Nørholm an. Hamsun lebte
dort von 1918 bis zu seinem Tod. Heute ist das Anwesen im
Besitz seiner Enkelin Victoria. Es ist besonderes schön
und sehr gepflegt. Ich stand am Zaun und stellte mir das
Leben da drinnen zu Hamsuns Zeiten vor, die Dichterhütte
in ihrer Einsamkeit, die Geschichte flüstert in den
Bäumen; hier geht Hamsun spazieren, murmelt vor sich
hin, schreibt ein Paar Wörter auf einen Fetzen Papier...
Eine historische Stätte. Welch ein Geschenk, hier auf
Hamsuns "überwachsenen Pfaden" zu gehen!
Die
Dichterhütte auf Nørholm
1996 nahm ich an einem
einwöchigen Seminar über Hamsun in Ry Højskole teil.
Es war sehr inspirierend, mehr über Hamsun zu hören und
mit Gleichgesinnten zu diskutieren. In meinem
Freundschaftskreis lächelt man sicher über mich und
denkt: Ach, jetzt fängt sie wieder an...
Währed dieses Seminars erfuhr
ich, dass es in Norwegen eine Hamsun-Gesellschaft gibt.
Liebt man Hamsun, empfiehlt es sich, Mitglied zu werden.
Ich habe viel Freude daran.
Jedes zweite Jahr im August
werden auf Hamarøy die Hamsun-Tage veranstaltet. Die
waren leider gerade vorüber als ich Mitglied der
Hamsun-Gesellschaft wurde, aber 1998 nahm ich zum ersten
Mal teil. Es ist unbeschreiblich, dieses Nordland so zu
erleben wie es Hamsun so oft in seinen Romanen
beschreibt. Dabei verbrachte er dort nur 22 von seinen 92
Lebensjahren. Wenn man das phantastische Licht und die
klare Luft, die enorme Kraft und Energie in den Blumen
und Bäumen in diesen kurzen aber intensiven Sommern
selbst erlebt hat, dann versteht man, daß man es nie
vergessen kann.
Haupttagesordnungspunkt der
Hamsun-Tage ist ein Hamsun-Seminar; ein Platz für
Hamsun-Liebhaber mit Vorlesungen und Diskussionen was das
Zeug hält. Hinzu kommen Konzerte, Ausstellungen,
Wanderungen, Theater und Musik. Es gibt so viele
verschiedene Schlüssel zu diesem Mann... Und es ist
genauso, wie mir ein Teilnehmer beichtete: Hat einen
diese Hamsunsche Welt erst einmal gefangengenommen, gibt
es kein Entkommen.
In September 1999 nahm ich in
dem Hamsun Seminar in Grimstad, das auch jede 2 Jahre
veranstaltet wird, Teil. Ein phantastisches Erlebnis
insbesondere, weil jetzt vermehrt "Hamsun
Bekannte" auftauchten. Es wurde Gedanken, Artikel
und Bücher in größeren Mengen getauscht. Jedes Mal
wird man ein bisschen weiser, aber eins ist sicher, man
lernt nie Hamsun ganz zu verstehen. Wie ich gelesen habe:
Wenn man denkt, dass man jetzt Hamsun endlich versteht,
ist er schon vorbei gelaufen.
Hamsun sagte:
"In 100 Jahren ist alles vergessen." Doch in
diesem Falle irrte er sich gewaltig. Sollte er selbst
nicht davon überzeugt gewesen sein, daß seine Bücher
nicht vergessen werden würden? Jedenfalls zeugen sie von
einem Genie, das uns auch heute noch so sehr mit seinen
Worten und Meinungen fasziniert!
|